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»Nadelstiche«, Dorothea Rothenfels

 

Buchbesprechung

Joachim Eiding, Journalist - Februar 2010         über den Autor …

 

Sylvia Hun scheint für ihr Leben geprägt: Als Tochter einer fränkischen Bauernfamilie nehmen ihre größeren Brüder kaum von ihr Notiz, lassen sie nie mitspielen. Gefangen in einem Wirrwarr von Omas und Opas füllt die Fünfjährige die Rolle aus, die ihr bleibt. Jahre später, als die »sexuelle Revolution« zart an die unterfränkische Tür klopft, benutzen die Brüder ihr Schwesterchen als Opfer für ihre ersten sexuellen Erfahrungen. Hilfe kann die Hauptfigur kaum erwarten, merkt nicht mal, was falsch läuft. Allein gelassen wird sie auch in der Schule; dort toben sich ihre Lehrer mental an ihr aus.

Erst als Sylvia nach Ende des Sprach-Studiums in Würzburg ihre Heimat Franken verlässt, um eine Dolmetscher-Stelle in München anzutreten, scheint sich das Blatt zu wenden: Begeistert hängt sie sich in ihren Job, kann Erfolge verbuchen. Doch erweist sie sich schon bald als unfähig, eine Beziehung zu einem netten jungen Mann einzugehen. In der Gewissheit, Sex sei etwas Schmutziges, lässt sie ihn brüsk im Regen stehen. Und als dann noch ein Arbeitskollege sie nach Feierabend im Büro brutal vergewaltigt, nimmt das Schicksal seinen Lauf und die Handlung gipfelt in einem spannenden Showdown …

Nadelstiche von Dorothea Rothenfels trägt starke autobiografische Züge. Wie ihre Romanfigur wuchs die Münchner Autorin in der unterfränkischen Provinz auf, erlebte dort als Kind die prüden 60er Jahre und wie die »sexuelle Revolution« gegen Ende der Dekade auf eine in der Region typische Art nahezu wirkungslos verpuffte. So spannt Nadelstiche einen erzählerischen Bogen von der harten Kindheit der anfangs fünfjährigen Protagonistin, über die Schülerin, die es mit ihren merkwürdig stark pubertierenden Brüdern zu tun bekommt, bis zur jungen Dame im ernüchternden Münchner Berufsleben. Geschickt wechselt die Autorin dabei die Erzählperspektive, passt die Sprache dem jeweiligen Alter der Sylvia Hun an.

Bei der Romanfigur wurde die Autorin durch ihre Krankheit inspiriert: Erst recht spät - im Alter von 42 Jahren - diagnostizierten Ärzte bei Dorothea Rothenfels Multiple Sklerose. Und wie bei Sylvia nahmen ihre Mitmenschen sie lange nicht ernst, wenn auch aus anderen Gründen. So brilliert Nadelstiche als kritischer Gegenwartsroman, mehr noch, als Kampfansage an Lüge und Intoleranz.

 

Joachim Eiding

 

 

… über den Autor dieser Rezension:

Joachim Eiding ist Herausgeber des Online-Magazins »Music-4-ever«. Das Magazin erscheint jeweils zum Ersten des Monats, und man kann sich zum 1. und 15. an einer neuen Runde der Leser-Hitparade »Joachims Jukebox« beteiligen. Thematischer Schwerpunkt des Magazins ist die Musik der 1980er und 1990er Jahre, aber auch Zeitgenössisches; hier vor allem weniger bekannte Künstler. Für die Ausgabe 41 vom Februar 2010 hat er mich interviewt, obwohl in meinem Buch die Musik gar nicht vorkommt. Die Fragen gingen in erster Linie um die Realisierung in Eigenproduktion und das Verlags- und Vertriebskonzept »BoD«, zu dem es in der Musik kein Äquivalent gibt. Neugierig geworden, hat er mein Buch gleich gelesen und rezensiert, vielen Dank nochmal dafür! — Direkt-Link zum Interview — alle Artikel aus der Rubrik »Journal« bei »Music-4-ever« (dort ist das Interview über die Suchfunktion erreichbar)

 

 

 

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